MAN MUSS DAS UNMÖGLICHE VERSUCHEN, UM DAS MÖGLICHE ZU ERREICHEN.
Hermann Hesse
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Waldstücke
von Heiner Müller
 

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Premiere: 18.03.2011
 
Regie: Berndt Renne
 
Technik: Hannes Baum
 
Besetzung: Dr. Richard Pfeil: Kurt Wehrmeister
Hora Pfeil: Brigitte Diehm
Ludwig Netz: Peter Wengefeld
Dr. Matthias Kanten: Thomas Fritz
Dr. Götz Kanten: Manuel Meiswinkel
Sukko: Susanne Schneider
Franz Mullebär: Admir Saracevic
Miru Mullebär: Danijela Wahl
Siegbert Rundlauf: Norbert Sluzalek
Tilli Rundlauf: Mirela Vidovic
Die Unbekannte Oma: Frances Shepherd
 

Große Ideen und kleine Eitelkeiten
Bernd Renne inszenierte mit dem „Theater an der Landstraße" Heiner Müllers erweitertes „Waldstück" als bundesdeutsche Erstaufführung

Marx hat ein Loch gelassen im Marxismus. Das Modell hat ein Loch. Das System hat ein Loch. Die Optimierung hat ein Loch. Irgendwo also ist doch immer ein Loch, durch das sich schlüpfen lässt.
Wollte man die Inszenierung von Heiner Müllers „Waldstück" des Theaters an der Landstraße Heidenheim, die am Freitag Premiere hatte, auf eine Erkenntnis herunter brechen - das könnte sie sein. Heiner Müllers Komödie, die Berndt Renne, der frühere Generalintendant des Volkstheaters Rostock in einer bundesdeutschen Erstaufführung präsentierte, geht jedoch darüber hinaus.
Ihre Figuren sind Sand und Rädchen im Getriebe gleichermaßen, benutzen und werden benutzt, spielen sich selbst und andere und sind doch ebenso Spielball im großen Spiel, in dem es um große Ideen und kleine Eitelkeiten, um Macht und Liebe, Ideologien und den eigenen Vorteil und letztlich eben nichts weniger als die Existenz geht.
Es scheint ein männliches Spiel zu sein, denn schließlich sind es die Männer in dieser Komödie, die das Spiel bestimmen wollen und dafür auch in eine andere Rolle schlüpfen. Und doch stehen sie, vom Arbeiter über den Wissenschaftler bis zum Werkleiter, weniger unter dem Dirigat von Ehrgeiz oder Pflichtgefühl als unter demjenigen ihrer Frauen, die mit dem ihnen eigenen Waffensortiment aus Verführung, Eroberung und der Macht über den häuslichen Frieden forsch ihr eigenes Ding durchziehen.
Wer glaubt denn schon noch an Männer? Doch auch die Frauen werden letztlich erfasst von der Eigendynamik, die das Spiel der Individuen entwickelt. Das klingt nun weniger nach Komödie als nach Gesellschaftskritik - und tatsächlich kommt die Inszenierung auch nicht als Fest der Lacher und Pointen daher. Dies umso mehr, als Berndt Renne das „Waldstück" um Heiner Müllers „Kentauren" und „Wald bei Moskau" aus „Wolokolamsker Chaussee" und damit um die Kriegszeit mit deutlichen Parallelen zur Produktionswelt, ganz gleich ob Kapitalismus oder Sozialismus, angereichert hat und mit dem „Mann im Fahrstuhl", ebenfalls Heiner Müller, beginnen lässt, der bereits die Vielschichtigkeit, aber eben auch Zerrissenheit einiger Figuren im „Waldstück" offenlegt. Szenisch ist das Heiner-Müller-Triptychon mit effektvollen Lichtwechseln und eindrucksvollem Bildaufbau gut umgesetzt; und auch der karge, kalte Saal mit Laborcharakter trägt zur atmosphärischen Dichte bei.
Im nicht durchweg auf gleichem Niveau agierenden Ensemble fallen besonders Norbert Sluzalek, Manuel Meiswinkel und Kurt Wehrmeister durch gutes Spiel auf, aber auch Dr. Peter Wengefeld schlägt sich als Novize mehr als beachtlich und kann als vielversprechender Neuzugang bezeichnet werden.
Der Zuschauer steht aber häufig vor der Herausforderung, immer wieder Spuren aufzunehmen und zu deuten - und das ist beileibe nicht immer so leicht wie dann, wenn Werkleiter auf Parteigenosse als Schauspieler als Werkleiter trifft. Oder wenn Arbeiters Nerven zu versagen drohen und er zwischen den Welten schwankt und kippt. Da lässt sich der Zuschauer sofort überzeugen von Rollenspielen und Spiegelungen, das ist auf den Punkt gespielt, und das wird goutiert.
Größtenteils aber nimmt die Inszenierung den Zuschauer mit. Besonders schwer wird der Zugang da, wo die Inszenierung aufgesetzt und willkürlich erscheint, ein Gang, der sich nicht erklärt, eine Haltung, die nicht schlüssig wird, ein Kostüm, das befremdet, oder eben schlicht durch den zuweilen unverständlich gesprochenen Text. Was besonders im Falle von Mirela Zelic schade ist, weil sie in der Lage ist, durch ihr Spiel die Bühne zu beherrschen.
Wenn am Schluss die unbekannte Oma als Hüterin des Nachwuchses triumphierend den Teppichklopfer schwingt, dann hat das etwas unfreiwillig Komisches, das die gesellschaftspolitische Brisanz und Aktualität der Texte, die immerhin überwiegend vor mehr als 40 Jahren geschrieben wurden, fast schon wieder auf die Schippe nimmt und ins Zeitlose platziert. Aussagen jedoch wie „Ich bin ein Mensch und kann nicht gestrichen werden", die scheinen geradezu für das Jetzt getroffen worden zu sein und klingen, so prägnant herausgearbeitet, wie eine trotzige Aufforderung, das Loch im System zu suchen.

Marita Kasischke

Heidenheimer Zeitung, 22.03.2011