MAN MUSS DAS UNMÖGLICHE VERSUCHEN, UM DAS MÖGLICHE ZU ERREICHEN.
Hermann Hesse
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Hamlet

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Aufführungstermine (Beginn jeweils 20:00 Uhr):

Freitag, 08.03.2013 PREMIERE
Samstag, 09.03.2013

Montag, 11.03.2013

Mittwoch, 13.03.2013

Freitag, 15.03.2013
Samstag, 16.03.2013

Montag, 18.03.2013

Mittwoch, 20.03.2013

Freitag, 22.03.2013
Samstag, 23.03.2013

 

 


 

 

„Wir sind alle notorische Schurken“

Berndt Rennes „Theater an der Landstraße“ bietet Shakespeares „Hamlet“ in einer intensiven Inszenierung

Jan Kott, der mit seinem Buch „Shakespeare heute“ die Theaterdiskussionen der 70er und 80er Jahre maßgeblich mitbestimmt hat (und der auch für Berndt Rennes Shakespeare-Sozialisation wichtig war), hat den „Hamlet“ einmal mit der Mona Lisa verglichen: Längst bevor man sie realiter anschaue, habe man bereits eine Vorstellung von diesen Ikonen der Weltkunst. Und diese Vorstellung erweise sich dann oft als eine Vor-Stellung, die durch die eigentliche Rezeption erst einmal durchbrochen werden müsse. Um dann, mit Understatement, schlusszufolgern: „Hamlet lässt sich nicht ganz einfach aufführen. Vielleicht liegt darin seine Anziehungskraft“.

Das mag wohl die Herausforderung für den Heidenheimer Regisseur Berndt Renne gewesen
sein, als er, vor einem halben Jahr, an die Probenarbeit zu Shakespeares längstem (ungekürzte Spielzeit: sechs Stunden) und wahrscheinlich auch gehaltvollstem Stück gegangen ist.

Er hat mit seinem Heidenheimer „Theater an der Landstraße“ ja auch bereits dreimal trainiert. Angefangen hat der einstige Rostocker Intendant, der sein Kunst- und Handwerk in der DDR von der Pike auf gelernt hat, mit den Ostheroen Christoph Hein und Heiner Müller (von dem, nach der Pause, auch eine längere epische Passage in den „Hamlet“ integriert wurde). Im letzten Jahr gelang ihm und den Seinen eine vorzügliche Büchner-Kompilation – und jetzt also der Griff nach den Sternen: „Hamlet“ wurde gewagt.

Wohlgemerkt: Renne arbeitet mit zehn Amateuren (eine elfte Mitwirkende fiel kurz vor der Premiere aus, was auf die Rasche noch einige durchaus gravierende Änderungen nötig machte). Und Amateure können jederzeit das Handtuch werfen – wenn man sie über Gebühr strapaziert oder überfordert. Sie müssen wollen; und man merkte den zehn Akteuren bei der Premiere im ehemaligen Physiksaal des Voith-Ausbildungszentrum Haintal durchgehend an, dass sie wollten – und mit immensem Einsatz mitzogen. Und in fast zahllosen, intensiven Proben mit Verve bei der hochambitionierten Sache blieben.

Um den Prinzen von Dänemark also ging es: „The tragical historie of Hamlet“, 1602 uraufgeführt. Renne hat das Stück auf (brutto) zweieinhalb Stunden eingedampft; die äußere Handlung bleibt jederzeit nachvollziehbar: Hamlet ist ein grenzwertiges und
grenzgängerisches Stück, bei dem nicht einfach am Schluss vier Leichen auf dem Boden liegen. Auch davor gibt es den einen oder anderen Toten: Ophelia etwa, die hier, vor ihrem Ertrinkungstod, einen filigranen Gang abwärts auf dem Geländer des Ex-Physiksaals balanciert – eine schöne, Rennetypische Metapher.

Überhaupt: Balance. Das Stück thematisiert durchgehend die Dialektik von Tod und Leben, Wahn und Rationalität, Wert und Eigennutz. Um das überzeugend realisieren zu können, braucht man ein tragfähiges inszenatorisches Konzept: „Man muss wissen, weshalb und wozu man ,Hamlet’ wählt“, hat Jan Kott in seinem „Shakespeare heute“ postuliert.

Und Renne wusste, was er wollte, auch wenn er in seiner kompakten und überzeugenden Inszenierung ein Stück weniger expressiv zu Werke ging als bei seinem Büchner vor einem Jahr.

Das Stück beginnt mit einer zunächst fast statischen Präsentation des kompletten Ensembles auf der wirkungsvoll abgestuften Bühne, wo jeder einen ihm zugewiesenen, festen Platz hat – das Publikum findet das beim Betreten des Saals bereits vor. Dazwischen befinden sich einige brennende Kerzen, dazu Totenschädel und Mausefallen.

Alles Gegenstände von besonderer Symbolik. „Die Zeit ist aus den Fugen“, hat Hamlet ja erkannt - eine typische Gestalt der frühneuzeitlichen Renaissance. Und bläst dann gleich die erste Kerze aus – zum Mona-Lisa-mäßig-allgegenwärtigen „Sein oder Nichtsein“-Monolog.

Und dieser primäre Hamlet wird dargestellt von einer Frau, wie das in früheren Jahren durchaus üblich war (u.a. Sarah Bernardt und Asta Nielsen) – gilt Hamlet doch oft als ein Zauderer, also ein Mann mit weiblichem, ja weibischem Charakter.

Gespielt wird dieser einführende Hamlet von Susanne Schneider – sehr intensiv und mit reizvoll akkurat harter, verfremdender Aussprache. Wer und was ist dieser Hamlet? Und wieviel von ihm ist in jedem von uns? „In Hamlet gibt es unzählige Fragen“, schreibt Kott. Die ersten wirft die kantige Schneider schon mal eindrucksvoll auf.

Insgesamt gibt es vier Hamlets, die hier in fliegendem, doch sinnigem und sinnlichem Wechsel ausgetauscht werden. Den nachfolgenden Hamlet spielt Manuel Meiswinkel ziemlich geschmeidig und alert und nicht weniger überzeugend.

Hamlet drei und vier sind dann Uwe Kock, der sich nach anfänglichem Schwächeln spürbar freispielt, und Dr. Thomas Fritz. Mögen diese beiden Hamlets auch die darstellerische Intensität der ersten beiden nicht ganz erreichen – in Rennes Inszenierung ist das kein Beinbruch. In seiner Abneigung gegen eine „Hierarchie“ im Ensemble belegen sie vielmehr die Stärke seines Konzepts, das alle Spieler mit ihrem spezifischen, deutlich herausgeforderten Können einbindet: Das Ensemble ist als Kollektiv erfolgsentscheidend – Rennes Bühnenprägung sorgt da für tragfähige inszenatorische Konsequenz.

Auch andere Rollenträger wechseln durch – da reicht beispielsweise das Wechseln von Schuhen, um die neue, eingetauschte Position glaubhaft zu machen. Und so überzeugen auch alle anderen Akteure, selbst wenn sie mit slawischem Akzent zunächst gehandicapt erscheinen. Des konstitutiv gemeinsamen Bemühens wegen seien hier alle „Landstraßen“-Mitwirkende genannt: Neben den herausragenden Norbert Sluzalek und Dr. Peter Wengefeld ebenso wertvoll fürs Gelingen Admir Saracevic und Mirela Zelic sowie Daniela und Lilly Wahl. Frances Shepherd, die viele Monate mitgeprobt hatte, fiel kurzfristig aus.

Alle Akteure waren zudem bewundernswert textsicher; allein Meiswinkel bedurfte, bei seinem hochanspruchsvollen epischen Monolog eines längeren Heiner-Müller-Textes unmittelbar nach der Pause, der Hilfe der Renne’schen Soufflage. Szenenbeifall bekam er trotzdem – zu Recht.

„Wir sind alle notorische Schurken“, weiß Hamlet. Das zu decouvrieren ist Anlegen der durchdachten Renne’schen Inszenierung. Dieser „Hamlet“ liefert eindrückliche Belege.

Manfred Allenhöfer