MAN MUSS DAS UNMÖGLICHE VERSUCHEN, UM DAS MÖGLICHE ZU ERREICHEN.
Hermann Hesse
Startseite Die Projekte 2014 Kleist
Drucken E-Mail

Die Komödie „Amphitryon“ von Kleist



 

Auch Götter kommen auf dumme Gedanken. So verführt Jupiter in der Gestalt von Amphitryon dessen Frau Alkmene. Die glaubt, ihren aus dem Krieg gegen die Athener heimgekehrten Ehemann in den Armen zu halten. Deshalb ist sie fassungslos, als der echte Amphitryon am Morgen eintrifft. Mit wem hat sie die Nacht verbracht? Amphitryon wiederum fühlt sich von seiner Frau betrogen. Wer ist wer und wer hat mit wem? Erst am Ende wird klar, dass sie Opfer eines grausamen Verwirrspiels sind.

 


 

ALKMENE: Wenn sich Amphitryon mir - ach, du quälst mich.

Wie kann sich auch Amphitryon mir zeigen,
Da ich Amphitryon in Armen halte?

JUPITER: Und dennoch könntst du leicht den Gott in Armen halten,
Im Wahn, es sei Amphitryon.
Warum soll dein Gefühl dich überraschen?
Wenn ich, der Gott, dich hier umschlungen hielte,
Und jetzo dein Amphitryon sich zeigte,
Wie würd dein Herz sich wohl erklären?

ALKMENE: Wenn du, der Gott, mich hier umschlungen hieltest
Und jetzo sich Amphitryon mir zeigte,
Ja - dann so traurig würd ich sein, und wünschen,
Dass er der Gott mir wäre, und dass du
Amphitryon mir bliebst, wie du es bist.

 


 

Premiere am 14. Februar: „Amphitryon“ im Theater an der Landstraße

Verführung aus Langeweile

Es entbehrt nicht einer gewissen Symbolik, dass im diesjährigen Programmflyer des Theaters an der Landstraße auf einem Bild eine zarte Pflanze aus steinigem Boden sonnengelb erblüht. Trotz mancher Widerstände und Gleichgültigkeiten konnte sich eine Vision entfalten, ist das „Unmögliche“ möglich geworden. Wie vor fünf Jahren geplant, hat nunmehr am 14. Februar 2014 die fünfte Inszenierung des Theaters an der Landstraße Premiere – die Komödie „Amphitryon“ von Heinrich von Kleist. Regisseur Berndt Renne, der Theatergründer, ist Verfechter einer Theaterkultur, die Sinnhaftigkeit verteidigt. In einer Zeit voller Beliebigkeit macht er sich daher mit Lust zum Außenseiter. Er will sein Publikum gestisch verführen. Spielerische Schönheit, formale Schärfe und inhaltliche Tiefe sind Sehnsuchtsziele und haben wiederholt beeindruckt. Sein Ensemble, das sich vonJahr zu Jahr mit Leidenschaft und ambitioniertem Fleiß immer größeren Herausforderungen stellte, schließt nun mit ihm den Kreis. Nach deutscher Nachkriegs-Dramatik, Christof Heins „Die wahre Geschichte des Ah Q“ 2010, Heiner Müllers „Waldstücke“ 2011, nach dem Büchner-Triptychon 2012 und Shakespeares „Hamlet“ 2013 führt nun „Amphitryon“ zur Wiege der Theaterkunst, ins antike Griechenland. Wie schon in der damaligen Tradition steigern diesmal auch in der Inszenierung des Theaters an der Landstraße Masken das theatralische Verwirrspiel, in dem Heinrich von Kleist die Frage nach der Identität stellt und bis zum Äußersten treibt. „Das Porträt von Kleist zeigt einen sanften, sensiblen Mann. Es ist kaum zu glauben, wie er sich in die Lage bringen konnte,solche Abgründe zu beschreiben“, meint Berndt Renne. Wer ist nun der echte Amphitryon (im Altgriechischen der „doppelt Geplagte“)? GöttervaterJupiter (Thomas Fritz), der in der Gestalt des Amphitryon dessen Frau Alkmene (Mirela Zelic) verführt hat? Oder Amphitryon (Vojko Vrbancic), der Thebener Feldherr, der am Morgen danach aus dem Krieg gegen die Athener zurückkehrt? Jupiter raubt mit seinem grausamen Spiel Identität, Ehre und Existenz seiner Opfer. Erst als alle fast schon den Verstand verlieren und Jupiter selbst einsehen muss, dass sich Liebe nicht erzwingen, nicht erschleichen lässt, gibt er sich geschlagen und sorgt für Wiedergutmachung. Parallel dazu, auf der komödischen Ebene, stürzt Merkur (Peter Wengefeld) Amphitryons Diener Sosias (Manuel Meiswinkel) in die gleiche Krise. Im Gegensatz zu Jupiter verführt er aber dessen Frau Charis (Danijela Wahl) nicht, auch wenn sie das gern gehabt hätte. Wie bei einigen der bisherigen Inszenierungen, wird auch diese Aufführung durch einen speziellen Textblock ergänzt. Norbert Sluzalek trägt Passagen aus dem Trauerspiel „Penthesilea“ und dem Ritterspiel „Käthchen von Heilbronn“ vor, beide ebenfalls von Kleist.

Kartenvorverkauf im Pressehaus (Tel. 07321 / 347-139)

 

 


 

 

Premierenkritik HZ

 

„Ach !“

Kleists „Amphitryon“ in einer packenden Inszenierung von Berndt Rennes „Theater an der Landstraße“

Sein oder Nichtsein, Ich-Sein oder Nicht-Ichsein – das ist hier die Frage. Letztes Jahr hatte sich Berndt Renne und sein „Theater an der Landstraße“ an den „Hamlet“ gewagt; dieses Frühjahr war es Heinrich von Kleists „Amphitryon“ – ein kaum weniger anspruchsvolles und jedenfalls gefälliger Inszenierung sich nachdrücklich entziehendes Stück.

„Wer bist Du?“, wird da mehrfach gefragt; und in einer Schlüsselszene hält der Angesprochene dem fragend Nahegerückten sinnig einen Spiegel vors Gesicht. Woraus sich, wiederum auf mehreren Ebenen im Stück, zwingend die gleichfalls öfters gestellte Frage ergibt: „Wer bin ich?“

Um Fragen der Identität also geht es, um Selbstklärungen, Partnerversicherungen und Fremdabtastungen. Und das betrifft in Kleists Stück alle sechs Figuren resp. drei Paarungen, die in ihrem Selbstverständnis entweder höchstgradig verunsichert sind – oder, im Fall der beiden Götter, spielerisch wandelbar.

Wobei das mit der spielerischen Gelassenheit selbst Jupiters, der sich die Gestalt des Titelhelden gibt, auch keine ganz ungezwungene Sache ist: Er will eine Liebesnacht mit Alkmene, der Frau des thebanischen Feldherrn Amphitryon. Das kann er als Göttervater selbstherrlich erschleichen, indem er in der Gestalt des Gatten an der Schönen „nascht“. Aber der nicht nur der physischen Liebe bedürftige Olympier will ja mehr: Er will die absolute, zielgerichtete Zuneigung, der nur der Gatte teilhaftig werden kann – der er nun ja nicht ist.

Kleist ist ein sehr dialektisch denkender Dramatiker; und so ist auch sein Außerirdischer nicht frei von Verzweiflung: Die Himmelsmacht der Liebe fliegt ja selbst dem obersten Olympier eher spärlich zu – er muss sich darum bemühen. „Auch der Olymp ist öde ohne Liebe“ ist ein Schlüsselsatz des 1803 ziemlich frei und eigenständig nach einem „Lustspiel von Molière“ (so der Untertitel) entstandenen Tragikomödie in drei Akten.

„Was seh’ ich? Himmel! Zwei Amphitryonen“, sagt der „entsosiasierte“ Diener Sosias – und gibt damit die szenisch äußerlich erscheinende Metapher für ein weitverzweigtes und tiefdurchdachtes Phänomen bei Kleist, das Renne in seiner eigenwilligen und eigenständigen, expressiven und sehr konzentrierten Inszenierung noch unterstreicht durch die Montage dreier Monologpartikel aus den Kleist’ schen Werken „Käthchen von Heilbronn“ und „Penthesilea“ – sehr eindringlich gesprochen und, ja: gespielt von Norbert Sluzalek. Man darf sich dabei erinnern an Rennes beeindruckende Kompilation sämtlicher Dramen Büchners vor zwei Jahren.

Vor der Premiere, die das „Theater an der Landstraße“ womöglich das letzte Mal im Voith'schen Ausbildungszentrum Haintal geben konnte (über die Zukunft der beachtlich zusammengewachsenen Truppe wird noch zu reden sein), erneuerte Renne seinen Anspruch, „große Räder zu drehen“. Kleists Stück möge manchem „auch für engagierte Amateurdarsteller als zu schwierig“ erscheinen; und schon so mancher „spezialisierte Profi“, weiß der einstige Regie- und Intendanzprofi Renne, habe sich daran „die Zähne ausgebissen“. Aber man kann der Truppe, die für ihren unbedingten Einsatz nur zu bewundern ist, nach der Premiere konstatieren, dass ihr eine stimmige und sehr dichte Umsetzung der anspruchsvollen Vorlage gelungen ist.

Im einstigen Physiksaal der Lehrlingsausbildungsstätte hat man diesmal den abgestuften Bereich dem Publikum vorbehalten. Im unteren Areal wurde eine dreifach gestufte Spielebene eingerichtet, die weitgehend nur querende Bespielung möglich macht. Und es gibt nur eine einzige Möglichkeit für Auf- und Abtritte, die einstige Zugangstür des Lehrers linkerhand – „eine abenteuerliche Herausforderung“, wie Renne findet. Solcherlei räumliche Beschränktheiten vermag die genauestens durchdachte Inszenierung könnerhaft zu meistern.

Und durch diese hohle Gasse treten die drei Spielerpaarungen eindrücklich in Szene: Zum einen ist das Amphitryon und seine Frau Alkmene: Der Feldherr will, nach erfolgreichen (erfolgreichem) Schlachten, rasch zur Gattin, um den „Lohn der Liebe“ einzuholen. Und obwohl die deutsche Sprache, die bei Kleist in seltener Elaboriertheit ausgebreitet wird, wohl nicht die Geburtssprache von Vojko Vrbancic (Lehrer am Talhof ) und Mirela Zelic (bei der VHS Dozentin für Kroatisch) gewesen ist, vermag diese Paarung durch spielerische Intensität zu begeistern.

Die Situation der göttergewollten Doubles spiegelt sich bei Amphitryons Diener Sosias und seiner Frau Charis – ins Komische und gelegentlich Derbe transformiert. Und hier können die „Landstraßen“-Durchläufer Manuel Meiswinkel (Kunstpädagoge bei Voith) und Danijela Wahl bestens überzeugen.

Die dritte Paarung bilden die Götter Jupiter und Merkur, die sich die „Identität“ des Feldherrn und seines Dieners überstülpen. Sie spiegeln die soziale Unterschiedlichkeit ihres Zielpersonals mit variablen theatralischen Mitteln: Damit vermögen auch Dr. Thomas Fritz und Dr. Peter Wengefeld gut zu gefallen.

Die Irdischen sind weiß gekleidet, bei den Überirdischen dominiert Schwarz – aber auch das wird noch gebrochen durch Amphitryons Bekleidung. Eine (trickreich bewegte) Maske bekommt nur das „Diener“-Doppel.

„Was brauchen wir, als nur uns selbst?“, fragt einmal Alkmene. Wer wir sind, müssen wir uns selbst beantworten. Kleists Amphitryon, in der sehr sehenswerten Inszenierung von Berndt Renne, stellt viele Fragen. Nicht zufällig ist das letzte Wort des Stückes Alkmenes seufzendes „Ach“.

Manfred Allenhöfer